alle Spalten und Ritzen in die merkwürdigen Armeleutewinkelchen hinein. Ob die Bewohner all der wackligen, klappernden Hüttchen wohl auch der Ansicht waren, daß dem geschorenen Lamm der Wind bemessen wird? Wenn man eine Sealskin-Jacke trägt, erscheint solch behaglicher Glaube immer unanfechtbar.
Bei meinem heutigen Spaziergang dachte ich viel an ähnliche in Peking verlebte Wintertage. Besonders eines Rittes mußte ich gedenken, den wir jetzt vor einem Jahre dort gemacht. Da war es auch so kalt, wie heute hier. Der Wind kam von der sibirisch-mongolischen Ebene hergeweht, so eisig, als könne es nie wieder Frühling werden. Der Weg dehnte sich endlos an der grauen Stadtmauer entlang. Die Türme mit den verfallenen grünen Kacheldächern standen dräuend gegen den fahlen Winterhimmel. Stellenweise lag etwas hart gefrorener Schnee. Krähen flohen krächzend vor dem Wind.
Im hiesigen Winter habe ich des dortigen gedacht und ich sende Ihnen dies kleine Gedicht, das mir dabei in den Sinn kam:
An den hohen Mauern der Stadt
Ritten wir beide schweigend,
Sprachen nicht mehr, weil alles gesagt,
Horchten im Schnee auf das Schrei’n
Der schwarzen Vögel.
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/101&oldid=- (Version vom 31.7.2018)