Metzeleien, daneben die Versicherungen chinesischer Gesandten, das die Fremden in Peking noch am Leben seien, daß ihnen irgend ein chinesischer General beistände. Was soll man glauben? Ach, man glaubt ja bis zuletzt immer, was des Herzens heißester Wunsch ist.
Ich habe angefangen mein Pekinger Tagebuch wieder durchzulesen. Auf jeder Seite steht Ihr Name, lieber Freund, und daneben irgend eine neue Freude, die Sie sich für mich ausgedacht! Damals nahm ich es alles so hin – als könne es nicht anders sein. Jetzt erst beim Lesen ist es mir, als spräche aus den vergilbten Blättern eine ferne Stimme zu mir und erzählte mir leise von Dingen, die ich nur dunkel geahnt. Jetzt versteh ich – jetzt, wo vielleicht … Aber ich will das Entsetzliche nicht denken – es darf nicht so enden! Ich habe ja auch gar keinen sicheren Anhaltspunkt dafür, daß Sie mit in Peking eingeschlossen sind – nur daß es so ungefähr die Zeit ist, in der Sie von Ihrer Reise zurück sein sollten. Aber wie oft dehnen sich solche Reisen im Innern länger aus, als man zuerst berechnet, und wenn Sie unterwegs von den Unruhen hörten, werden Sie doch sicher nicht den gefahrvollen Weg nach der Küste eingeschlagen haben, sondern werden wohlgeborgen bei einem Ihrer Freunde geblieben sein. Denn Sie hatten
Elisabeth von Heyking: Briefe, die ihn nicht erreichten. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin 1903, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Briefe_die_ihn_nicht_erreichten_Heyking_Elisabeth_von.djvu/221&oldid=- (Version vom 31.7.2018)