Er umschlang, ganz den Kopf verlierend, ihre Knie und küßte sie.
Die junge Frau sprang auf, stieß ihn so heftig zurück, daß er im Aufstehen wankte; er war ganz bleich, seine Augen waren verstört, seine Hände zitterten. Ein Gefühl von Entrüstung erfaßte Stella. Diese Berührung brachte sie wieder zu sich selbst … erfüllte sie mit Besorgnis um eine Seelenreinheit von deren Besitz sie bisher selbst nichts wußte, und die plötzlich in ihr unter einem Schauer von Abscheu erblühte.
„O!“ murmelte sie in ihrem Ärger. „Sie sind merkwürdig kühn, mein Herr!“
„Entschuldigen Sie“ flüsterte der junge Offizier, „ich liebe Sie so sehr! Ich hoffte …“
„Was? Weil ich Ihre Verse lese und Ihnen manchmal einen freundlichen Blick zuwerfe und sie anhöre, … da setzen Sie gleich voraus …“
„Ach! Ja! Ich hoffte, Ihnen nicht allzu sehr zu mißfallen, gnädige Frau!“
„Als Dichter … das ist möglich … aber als … Liebhaber?“
„O Sie sind grausam!“
Marie Tihanyi Sturza: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Arthur Cavael, Leipzig 1905, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Das_Geluebde_einer_drei%C3%9Figj%C3%A4hrigen_Frau_Sturza.djvu/247&oldid=- (Version vom 31.7.2018)