Sturz des Kanzlers sich verbreitete, wäre ohne die Klubs und ihre Aufklärungsarbeit nicht möglich gewesen. Die Pariser pflegten bisher nur zusammen zu strömen, wenn eine alte königliche Maitresse ins Exil geschickt wurde, oder eine junge in die petites appartements einzog. Sie hatten gewissermaßen ein väterliches Interesse daran; sie waren stolz darauf, die Hauptlieferanten der Liebesgenüsse großer Herren zu sein; sie zogen tief den Hut vor der eignen Tochter, wenn irgend ein Prinzlein sie mit Brillanten behängte –, heute spucken sie vor ihr aus. Etwas wie Selbstbewußtsein erwacht in diesen armen kleinen Hirnen, nur daß es niemand von den Herrschenden wahr haben will.
Während die Männer in den Klubs sich Abend für Abend über Fragen des Freihandels oder der Zölle die Köpfe zerbrechen, Fragen, die seit Turgot, der Anhänger der Physiokraten, am Ruder ist, zu wahrhaft brennenden wurden, sitzt der Sultan der Oper, der Prinz von Soubise, nach wie vor in seinem Serail, der Loge, um die von ihm pensionierten Tänzerinnen neben den jüngsten Eleven huldvollst zu empfangen, und die „gute Gesellschaft“ strömt nach Pantin zur Guimard, um Komödien zu sehen, von denen eine die andere an Laszivität übertrifft, oder sie füllt das Hotel der Madame de Montesson, die, trotz ihres Alters, noch immer als jugendliche Liebhaberin auf ihrer Bühne auftritt, und noch immer die Egeria des Herzogs von Orléans ist.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/094&oldid=- (Version vom 31.7.2018)