Ich aber, teuerste Marquise, bringe meine Abende am liebsten in einer Gesellschaft zu, die nicht durch Namen und Titel, wohl aber durch Geist und Witz die erste von Paris genannt werden darf. Sie versammelt sich im Hause Madame Geoffrins.
Wie wünschte ich Ihnen die Bekanntschaft dieser wundervollen Frau, die es verstanden hat, ohne jung und ohne schön zu sein, die besten Köpfe Frankreichs an sich zu fesseln. Hier sind d'Alembert, Turgot, Diderot fast tägliche Gäste, hier wird freimütig ausgesprochen, was außerhalb dieses Salons noch in die Bastille führt, und die Wahrheit und die Religion des kommenden Jahrhunderts ist.
Sie werden finden, daß ich unbescheiden bin, indem ich Ihre gütige Erlaubnis, Ihnen schreiben zu dürfen, in dieser Weise ausnutze. Aber mir ist, als wäre es wieder Nacht um Sie, die ein fernes Feuer rot durchglüht und als stünden Sie vor mir, die kleine Gräfin Laval mit den großen brennenden Augen und der stockend hervorgestoßenen Frage: „Ist es wirklich, kann es wirklich sein?!“
Ob ich sie weiter beantworten darf, das haben Sie zu entscheiden.
Verehrteste Frau Marquise, Ihre rasche Antwort würde mich entzückt haben, wenn ich sie
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/095&oldid=- (Version vom 31.7.2018)