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das Stück meines Rivalen gern in den Kauf, wenn es mir zum Vorwand dient, einige Stunden länger dieselbe Luft mit Ihnen zu atmen.


Johann von Altenau an Delphine.
Paris, am 1. April 1776.


Verehrte Frau Marquise! Ich kann nicht anders, als meinem Erstaunen, meiner Überraschung, Worte zu verleihen. Nie hätte ich mir träumen lassen, eine verwöhnte femme du monde, wie Sie, in dem schlichten Salon unsrer guten Julie wiederzusehen! Alles, was man mir von Ihnen erzählt hatte, – Ihrer Stellung in Versailles, der Schar Ihrer Verehrer, mit denen man Sie spielen sieht wie mit Billardkugeln, – ließ mich, offen gestanden, fürchten, daß das Leben der großen Welt Sie die Existenz anderer Welten, die sich früher um Ihre Seele stritten, völlig vergessen ließ. Als Sie eintraten, – die schmale Tür schien viel zu eng für die starrende Seide Ihrer Polonaise, viel zu niedrig für die nickenden Federn auf Ihrem hochfrisierten Haupt –, und Fräulein von Lespinasse Ihnen entgegenkam, diese überschlanke Leidensgestalt in dem nonnenhaften Gewand, – und Ihnen die bleiche, blaugeäderte Hand entgegenstreckte, ein gütiges Lächeln um die blutleeren Lippen, richteten sich die Blicke Aller fast erschrocken auf Sie, so fremd wirkte Ihre Erscheinung in diesem Kreise. Sie fühlten es selbst, Sie saßen, der einzige

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/181&oldid=- (Version vom 31.7.2018)