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wir zusammen, wie nur sehr Vertraute miteinander schweigen können. Die Stunden verflogen; mit müden Augen starrten Sie mich an; ich war vermessen genug, zu wähnen, daß Sie von mir sich nicht zu trennen vermöchten.

Bis ich eines Nachts hörte –, ich sprach niemals davon; Sie sollten sich vor mir nicht schämen müssen. – Aber von da an stand ich allnächtlich vor Ihrer Türe, bereit, sie einzustoßen und den Mann von Ihrer Seite zu reißen, der, weil er Sie zwang, seinen Namen zu tragen, ein Recht über Sie zu haben glaubt. Wußte er von dem Wachtposten? Fürchtete er die Wiederholung des auch für sein abgestumpftes Gefühl nicht gerade ehrenvollen Ringkampfs mit einer Frau? Oder klang ihm noch der Schrei in den Ohren, mit dem die Verzweifelte ihn von sich stieß: „Ich will keine zweite Mißgeburt von dir!“

Zürnen Sie mir nicht, daß ich an das schreckliche Geheimnis rühre. Ich konnte nicht anders. Sie sollen sicher sein, daß ein Mensch lebt, der noch als Leiche den Weg zu Ihnen versperren würde, daß Sie einen Freund besitzen, den die ungeheuerlichste Tat nicht zu schrecken vermöchte, wenn sie der Preis Ihres Glückes wäre.


Graf Guy Chevreuse an Delphine.
Versailles, am 8. August 1778.


Holdseligste! Ist es möglich, daß die entzückende Frau in dem rührenden weißen Leinenkleide, mit


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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/235&oldid=- (Version vom 31.7.2018)