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der breiten Bergère auf den offenen Locken, den Namen derer trägt, die ich einst anbetete?

Sie war eine stolze Marquise; herrisch klapperten ihre Stöckelschuhe über das Parket von Versailles; in ihren Augen lachte der Leichtsinn, ihre Lippen waren leuchtend rot. Aber diese Delphine, der ich gestern begegnete, schwebt auf weichen Sohlen über den Rasenteppich, ihre Augen sind tief und von Geheimnissen voll, wie das Meer in der Mondnacht, ihre Lippen sind blaß, wie ungeküßte Mädchenlippen.

Ich bin untreu aus Grundsatz; wer Treue glaubt fordern zu müssen, hat Liebe schon verraten. Und Sie, schönste Delphine, liebte ich viel zu heiß, als daß ich Ihnen hätte treu sein können. Gibt es einen stärkeren Beweis für meine Untreue, als daß ich mich Ihnen heute zu Füßen werfe? Mit der ganzen wundervollen Wandlungsfähigkeit des Weibes, die sich der Natur anpaßt, wie die Blume dem Frühling, dem Sommer, der Nacht, dem Morgen, dem Regen und dem Sonnenschein, – immer dieselbe und doch immer eine andere, – sind Sie eine neue Delphine geworden. Diese, nur diese liebe ich –, und werde sie hoffnungslos lieben müssen. Denn an meinem Gesicht ging das Schicksal, der große formende Künstler, achtlos vorüber und nur der Stümper, die Zeit, pinselte zum Ersatz ein paar winzige Fältchen hinein.

Ich will Sie nicht täuschen, Delphine: wenn ich

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Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/236&oldid=- (Version vom 31.7.2018)