Trianon. Den Tod der neugeborenen Prinzessin hat sie um so weniger überwunden, als irgend ein altes Weib in ihrer Umgebung ihn als böses Omen deutete. Sie trug, wie wir alle, Trauerkleider; der kleine Dauphin klammerte sich, wie immer, an ihre Hand, sein schwarzes Röckchen ließ seine Blässe doppelt durchsichtig erscheinen. Unser Ziel war der Pachthof.
„Ich will mir einmal einen fröhlichen Tag bereiten“, hatte die Königin mit wehmütigem Lächeln gesagt und die Börse gefüllt für ihre Schützlinge in den kleinen Häusern.
Als wir uns näherten, kamen uns die Lakaien, die den Besuch der Königin gemeldet hatten, mit verlegener Miene entgegen. Die Leute seien bei der Arbeit, hieß es. Die Königin grub die Zähne in die Unterlippe. „Wir werden warten“, sagte sie dann und ließ sich auf der Steinbank nieder. Ein paar Gesichter tauchten hie und da hinter den kleinen Fenstern auf und verschwanden wieder. Schließlich lief eine fröhliche Schar kleiner Kinder von der nahen Wiese uns entgegen. Die Königin rief sie, nahm den Kleinsten auf den Schoß, küßte ihn und drückte einem jeden ein Geldstück in das Fäustchen; die Eltern sahen hinter den Büschen und Hecken heimlich zu.
„Vor einem Jahre haben sie noch alle vor mir im Staube gelegen,“ sagte die Königin bitter. Wir gingen schweigsam zurück. Nur sie schritt stolz und
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/442&oldid=- (Version vom 31.7.2018)