Gesicht verloren hatte und fürchten mußte, zudringlich zu erscheinen, wenn ich eine Nachricht von ihm nicht geben konnte.
Gestern erst sah ich ihn mitten im Tumult des Palais-Royal. Er schüttelte mir die Hand. „Es wird ernst,“ sagte er mit einem Blick auf die gestikulierende, durcheinander schreiende Menschenmenge. „Der Todeskampf der absoluten Monarchie beginnt,“ antwortete ich, und er nickte. Dann verlor er sich wieder im Gedränge.
Seit dem achten Mai, wo der König die Parlamente ihrer Macht entkleidete, wächst die Erregung. Parlamentsräte, Aristokraten und Priester fraternisieren auf der Straße mit Krämern, Arbeitern und Journalisten. Und dem verblendeten Volke erscheinen sie plötzlich wie lauter Freiheitshelden.
Die Sturmflut von Paris überschwemmt bereits die Provinz und wetteifert mit den Unwettern, die der Himmel sendet. Die berufenen Wächter des Thrones – der Priester und der Edelmann – erheben die zu seinem Schutze bestimmten Waffen gegen ihn, und zerstören damit im Volke den letzten Rest des Kindertraums von der unantastbaren Heiligkeit des Königs.
In der altersgrauen Burg des Absolutismus sucht er sich zu verschanzen, zu blind, um zu sehen, daß sie schon eine Ruine ist.
Lily Braun: Die Liebesbriefe der Marquise. München 1912, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Die_Liebesbriefe_der_Marquise_(Braun).djvu/448&oldid=- (Version vom 31.7.2018)