„Aber zu den Eulen müssen wir auch gehen! Ihr wißt nicht, wie schön die Eulen sind. Ihr habt ihre Augen sicher nie betrachtet. Ich sage euch, es sind wunderschöne Vögel. Ich gehe nie aus dem Zoologischen Garten fort, ohne bei den Eulen gewesen zu sein.“
Als Claudia so eifrig die Eulen bevorzugte, ging sie in der Mitte der kleinen Gesellschaft, von den Damen und Herren umgeben, und sie blickte nur ab und zu nach links und rechts, und sie lächelte. Und ich mußte an den Rattenfänger von Hameln denken, der an der Spitze einer Kinderschar schreitet und diese mit seinen eindringlichen gleichmäßigen Flötenlauten in einen finsteren Berg lockt, der sich bald hinter den Ahnungslosen schließen wird.
So gingen diese schwarzen Augen, die ich bis zu jener Stunde immer noch nicht beschreiben konnte, allen anderen Augen voran, von denen keine mit so schicksalstiefen Blicken, unheimlichen Flötenlauten ähnlich, anziehen konnten wie Claudias Augen. Mir schien, wir andern wären plötzlich alle schwarz wie Claudia gekleidet, als sie uns immer wieder von den düsteren Eulen sprach. Eulen waren ihr die liebsten Tiere des ganzen Gartens
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/150&oldid=- (Version vom 31.7.2018)