Während ich aber glaubte, in Dagon die Lüge abzutöten, wurde ich langsam von ihm abgetötet, entkräftet. Denn Unheil ist sein Schaffen, und nur Unheil war er für mein ganzes Leben.“
Und Claudia erzählte weiter:
„Am ersten Weihnachtsfest, das wir zusammen als Verlobte feiern wollten, reiste ich zum erstenmal in meinem Leben zum Fest nicht nach Hause, trotz der Bitten meiner Eltern und Geschwister und obwohl ich wußte, daß mein Vater alt und krank war. Aber am Nachmittag des Weihnachtsabends, auf den ich mich so sehr gefreut hatte, bekam ich ein Telegramm, das mir den Tod meines Vaters anzeigte. Ich saß eine Stunde später im Eisenbahnzug und durfte den Abend weder bei dem geliebten Mann, noch in meiner geliebten Familie verbringen, sondern war in einer Hölle von Einsamkeit, zwischen zwei Zielen hin und her schwankend, zwischen dem Ziel des Lebens und dem Ziel des Todes. Leidend, weinend und erschüttert saß ich in der weihevollen Nacht als einziger Reisender im leeren Zug, von Selbstvorwürfen gepeinigt, weil ich meinem toten Vater den letzten Wunsch nicht erfüllt hatte, ihn auf seinem Krankenbett am Weihnachtsabend zu besuchen.
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/157&oldid=- (Version vom 31.7.2018)