Nur einmal, als ich sie tief unglücklich antraf und ganz natürlich fragte: „Wie sind Sie denn mit diesem Mann zusammengekommen, der Ihnen jetzt so viel Qualen bereitet?“, da erzählte sie diese kleine Verlobungsperiode, und sie schloß: „Gerade weil mich der Freund jenes Adeligen vor Dagon warnte und mir Unheil prophezeite, gerade das war es, was mich herausforderte, Dagon erst recht zu wählen. Es machte mir Lust, mit meinem Geliebten Seele gegen Seele zu ringen. Das fabelhaft Verwandlungsfähige seiner Seele reizte die eisernen, starren und gefestigten Lebensbegriffe in mir. Mir war, als könnte Dagon alles Feste in Wolken auflösen. Mir war, als sähe ich einem Zauberer zu, wenn er mich leise und lächelnd schon in der ersten Zeit unseres Bekanntwerdens belügen konnte. Dann drang ich mit meinen Augen in ihn ein, und mir war, als müßte ich das Lügen aus ihm ausbrennen. Er lächelte wieder und log hilflos weiter und tat, als hätte ich wirklich das leichte Lügen an der feinsten Wurzel in ihm abgetötet. Aber ich ahnte ja nicht, daß er immer wieder neue Fäden der Lüge hinter sich herziehen konnte, wie die Spinne ihre Fäden, daran sie tanzt, daran sie sich über Abgründe schwingt.
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/156&oldid=- (Version vom 31.7.2018)