Nie fehlen Blumen auf ihrem Teetisch, nie geht bürgerlich langweilige Luft durch ihre Zimmer. Es ist Claudia ein Genuß, wenigstens äußerlich glücklich zu wirken – auf die nicht Eingeweihten, die nicht in ihren schwarzen Augen zu lesen verstehen.
Lange Zeit erschien sie immer als glückliche Gattin, die, leicht die Achsel zuckend, die Lebensweise ihres Mannes hinzunehmen schien. Und viele mögen verblüfft gewesen sein, als Claudia plötzlich mit dem Kaukasier verschwand. Aber nicht einer hatte es ihr beim näheren Hinsehen verdenken können.
Und nun zurückgekehrt, scheint sie die Rolle der Glücklichen nicht mehr harmlos spielen zu können. Dazu ist ihr Gesicht doch zu blaß geworden, und ihre Züge sind wachsmaskenartig erstarrt. Ihre Augen funkeln nicht mehr lebenstrotzig. Der Trotz sieht versteinert aus und steckt als Kern in ihrem Herzen.
Am Weihnachtsabend, als ich bei Claudia und Dagon mit einigen Gästen eingeladen war und jene Frau uns alle unter den brennenden Weihnachtsbäumen ihres Salons beschenkte, da schien es für Sekunden, als könnte doch vielleicht das Wachs ihres Gesichtes nochmals
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/165&oldid=- (Version vom 31.7.2018)