weich werden und schmelzen. Dann aber, als es während des Abendessens klingelte und unter den Geschenken, die von Bekannten geschickt wurden, auch Aufmerksamkeiten von einigen Damen waren, deren Gunst Dagon in letzter Zeit errungen hatte, da sah ich, wie Claudia zu frieren begann. Trotzdem die Zimmer von der Wärmeleitung und den Weihnachtskerzen heiß waren, bat sie, daß man die Fenster schließen möchte, das eine der eingeladenen Damen geöffnet hatte. Die Gepeinigte fror von innen heraus. Ich glaube, sie muß ihr Herz in diesem Augenblick so schmerzend gefühlt haben, wie man in der Winternacht das Eisen einer Türklinke brennend kalt fühlt, wenn man die Hand darauf legt.
Dagon hat schon längst keine Geheimnisse mehr vor seiner Frau. Das letzte Schamgefühl ist zwischen ihnen gefallen. Im Gegenteil, er will, daß Claudia nichts fühlen soll und nichts mit ihm teilen soll als die Lust, die ihm seine Abenteuer geben. Sie soll die Lust an dem Verbrechen, das er an ihrer Liebe begeht, sich selbst verleugnend mit ihm genießen.
Wieder haben jetzt beide eine Wohnung, in der kein Hauch von Unglück zu spüren
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/166&oldid=- (Version vom 31.7.2018)