Stückchen abreißen, einmal ein Ohrläppchen, einmal einen Nasenflügel, einmal einen Haarschopf, bis der Tierhändler daläge wie ein zerstückelter Brief im Papierkorb.
Jetzt, nach zwei Monaten, ist das Äffchen in seinem Käfig ruhiger geworden, „zahm“ würde der Tierhändler sagen. Ich sage „todesmatt“. Es kauert in einem Häufchen Holzwolle und knabbert manchmal an einem Kuchenstück und zittert den ganzen Tag.
Auf der Stange des Käfigs, darauf eigentlich ein Kanarienvogel sitzen sollte, kauert mühsam das Äffchen. Die Stange ist zu schmal, und es fällt oft herunter. Wenn es sich in dem winzigen Gitterraum bewegen wollte, müßte es sich rund um sich selbst bewegen wie die weißen Mäuse und müßte irrsinnig werden. Weil es aber ein sanftes Tierchen ist, so will es keines irrsinnigen, sondern eines sanften Todes sterben. Es wird also scheinbar zahm, das heißt, es sitzt auf einem Fleck und stirbt langsam ab.
Wenn ich die nächtlichen Straßen hinauf und hinunter sehe, so scheinen mir die menschlichen Häuser auch nichts anderes als steinerne Käfige zum Zahmwerden und zum Absterben.
An einer Straßenecke stand während zweier
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/184&oldid=- (Version vom 31.7.2018)