dort nachts, wenn die ersten Sterne heraufziehen, ein seltsames Blitzlicht in Erstaunen setzte, das wie ein Wetterleuchten weit draußen mitten in der Seefläche auftaucht und bis in die Fenster des Hotels hereinleuchtet und auch kalkweiß über die Gesichter derer hinstreicht, die am Seeufer im Dunkeln einen Abendweg machen.
Der Lichtstrahl sticht Nacht um Nacht an den beiden Seiten der Felsenwände hoch, die den See einschließen, und zeichnet für Sekunden scharf jeden Olivenbaum, jeden Ziegel der einsamsten Hütte am Felsengehäng und haut, wie ein weißes Schwert zertrennend, einen weißen Keil in die Finsternis. Ich mußte immer an das Flammenschwert denken, das den Eingang zum Paradies bewacht, wenn dieser Lichtstrahl unermüdlich Wasser und Gebirge bestrich in allen Stunden der Nacht.
Ich erfuhr dann, daß jenes spukhafte Licht von den Scheinwerfern der kleinen italienischen Wachtschiffe kam, die dort, wo die Grenze von Italien quer über den See geht, in jeder Nacht hin und her fuhren, die Bergscheide und das Wasser nach Schmugglern abzuleuchten. Denn Tabak und Zucker wurden
Max Dauthendey: Geschichten aus den vier Winden. Albert Langen, München 1915, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Geschichten_aus_den_vier_Winden_Dauthendey.djvu/287&oldid=- (Version vom 31.7.2018)