kennen, die für unaufhörliche Arbeit ein spärliches freudloses Leben gewannen. Die meisten nahmen es noch hin wie etwas Selbstverständliches, aber schon zuckte in ihren Augen hie und da dieselbe Flamme auf, die in dem Blick der alten Maruschken gebrannt hatte. Die Zeit, da sie sich vor dem Herren fühlten wie stumme Sklaven oder wie willenlose Kinder, war vorüber. Es gingen wirklich böse Geister um, auch in der alten Ordensburg.
Mein Onkel war, so viel er sich auch zu bilden strebte, den Anforderungen moderner Landwirtschaft geistig nicht gewachsen. „Man müßte Chemiker, Ingenieur, Naturforscher sein, um nicht von jedem Hans Narren übersehen und betrogen zu werden; statt dessen hat unsereins nur Leutnant gelernt,“ sagte er einmal bitter. Er entschloß sich sogar zum Verkehr mit einem alten Gegner aus der Nachbarschaft, einem Freisinnigen, der der beste Landwirt im Lande war. Ich begleitete die Herren zu Pferde bei ihren Inspektionsritten und hörte oft, wie der alte Mann das Neue, das der junge schuf und plante, rückhaltlos gut hieß. „Nur eins kann ich Ihnen nicht verhehlen, Herr Baron, mit der Angst würde ichs kriegen, wenn ich Sie nicht für einen bedachtsamen Mann hielte, der weiß, daß er Hunderttausende hier hineinstecken muß, ehe die Millionen herausspringen.“ Ich sah, wie Onkel Walter um einen Schein blasser wurde, und erschrak mit ihm.
Er war sehr ernst geworden in den letzten Jahren. Sein fröhlicher Leichtsinn brach nur dann immer wieder hervor, wenn seine Frau ihn umschmeichelte – wegen neuer Toiletten, neuem Schmuck oder neuen Hunden –
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/242&oldid=- (Version vom 31.7.2018)