und meine Mutter, die solch einem mißglückten Versuch zuweilen zuhörte, sagte mir einmal:
„Daß du das Nüsseknacken gar nicht aufgeben magst! Du siehst doch, daß sie alle taub sind.“
„Ich glaubs aber nicht – ich will es nicht glauben,“ antwortete ich, „mein eigene Existenz bürgt mir dafür, daß es noch andere meiner Art geben muß!“ Mama kräuselte spöttisch die Lippen: „Die Mehrzahl ist gemein – die Dummen sind noch die besten.“ Aber je häufiger sie ihrer tiefen Menschenverachtung Ausdruck verlieh, desto empörter lehnte ich mich dagegen auf, desto übertriebener wurde mein Triumphgefühl, wenn irgend eine Wesenssaite des Anderen, die ich berührte, leise zu klingen begann.
Da war besonders einer, ein junger Nachbar, der oft herübergeritten kam. Tiefere Bildung besaß er nicht, aber das einsame, durch keine Abwechselung unterbrochene Leben an den grauen Wassern des Haffs hatte ihn nachdenklich gemacht, so daß es uns nie an Gesprächsstoff fehlte. Unser Verkehr dauerte nicht lange. Onkel Walter nahm mich eines Tages beiseite und erklärte mir, daß der Brandenstein keine „Partie“ für mich wäre.
„Ich denke ja auch gar nicht daran, ihn zu heiraten,“ rief ich.
„So benimm dich nicht so dumm! Die ganze Gegend spricht schon davon, und er selbst muß sich Hoffnungen machen, wenn du dich stundenlang mit ihm allein abgibst,“ entgegnete er. Ich war außer mir: ein junges Mädchen benimmt sich also unpassend, wenn es länger als fünf Minuten mit einem und demselben Herrn redet. – „Die lieben Nächsten drücken nur dann ein Auge zu,
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/247&oldid=- (Version vom 31.7.2018)