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„Und in der nächsten Woche reisen wir,“ flüsterte ich mühsam, – es würgte mir am Halse.

„Im Herbst erst sehen wir uns wieder –“

„Das ertrag ich nicht – –“

„Ich sterbe vor Sehnsucht –“ Und noch einmal zogst du mich an dich, und aufschluchzend barg ich meinen Kopf an deiner Brust.

„Weine nicht, Liebling, weine nicht, – für ein ganzes Leben voll Liebe, das uns bevorsteht, ist das Opfer dieser nächsten Wochen am Ende nicht zu groß,“ versuchtest du uns Beide zu trösten, dabei fielen heiße Tropfen aus deinen Augen mir auf die Stirn. –


Wir fuhren nach Karlsbad, – Mama, Klein-Ilschen und ich. Wir trafen mit einem großen Kreise alter und neuer Freunde zusammen. „Wir“ sage ich, – aber im Grunde war ich gar nicht da, nur mein wandelndes Schattenbild. Automatisch geschah alles, was ich tat: mein Reden und noch mehr mein Lachen. Ich selbst saß still im dunkeln Chorgestühl eines hochragenden Doms, die Hände im Schoß gefaltet, die Augen emporgerichtet zu den in mystischen Farben glühenden Fenstern, unbeweglich horchend auf den Gesang süßer Engelsstimmen, die Stirn umweht von Wolken duftenden Weihrauchs …

Wenn ich neben dem Rollstuhl Stauffenbergs ging, sprach ich wohl mit ihm von alledem, was mein Interesse sonst erregt hatte; aber eine ganz andere, eine fremde Alix war es. Ich selbst, ich lachte über sie und ihren komischen Eifer. Was ging mich die hohe Politik, was

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/291&oldid=- (Version vom 31.7.2018)