„Fürchten Sie nichts, kleine Frau, – die Leute hier krümmen unseren Männern kein Härchen.“ Wir blieben trotzdem in kaum zu bemeisternder Unruhe zurück. Wir horchten auf jeden Ton, während einer den anderen durch eine möglichst harmlos-heitere Unterhaltung über die Erregung hinwegzutäuschen suchte, und sprangen gleichzeitig erleichtert auf, als nach einer Stunde Bodenbergs kräftige Stimme vom Hof herauf durch das Fenster klang.
„Hab’ ichs euch nicht gesagt?“ lachte er uns entgegen. „Sie freuen sich drunten ihres Feiertags, wie nur je. Die Kinder spielen auf den Straßen, die Frauen stehen im Sonntagsputz vor den Türen und schwatzen mit den Nachbarn.“
„Und doch heißt es, daß Soldaten kommen,“ unterbrach ihn Limburg mit einem Ausdruck schwerer Besorgnis in den Zügen.
„Mögen sie doch! Gegen die Kinder, die jetzt schon in der Vorfreude hurraschreiend ihre Fähnchen schwingen, werden sie kaum zu Felde ziehen. Sahen Sie nicht den krummbeinigen Schlingel, dem seine Gefährtin, ein süßes Mädelchen mit Haaren wie rote Flammen, den Platz an der Spitze der kleinen Gesellschaft streitig machte? Gefährliche Aufrührer sind das, nicht wahr?!“
„Gewiß sah ich sie – aber ich sah auch die Gesichter der Männer hinter den Fenstern der Kneipe …“
Ein Geräusch – wie ein fernes Prasseln von Hagelkörnern auf Glasscheiben – unterbrach das Gespräch. Bodenberg wurde aschfahl – „Gewehrsalven“ – murmelte Limburg. Wir standen, wie an den Boden gebannt, – in atemloser Erwartung. Unten auf dem
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/404&oldid=- (Version vom 31.7.2018)