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Hof liefen die Leute zusammen. „Sie schießen,“ schrie einer. Wir stürzten hinunter bis ans Tor, keiner sprach mehr ein Wort, aber von einer Angst erfüllt starrten wir alle die lange, öde, schwarze Straße hinab. Die Zeit schien still zu stehen, Ewigkeiten dünkten uns die Minuten. Endlich erhob sich in der Ferne eine Wolke Staubs vom Boden: Menschen, die liefen, als wäre der Teufel ihnen auf den Fersen. Näher und näher kamen sie: Weiber mit wehenden Haaren und verzerrten Zügen – schreiende Kinder mit rot verquollenen Augen – ihre Sonntagskleider bedeckt mit dem schwarzen Ruß der Straße. „Sie morden uns –“ stöhnte eine weißhaarige Alte, warf die hageren Arme verzweifelt um den Kopf und brach vor uns zusammen …

Tröstend und helfend gingen Brakes Bewohner von einem zu anderen, und endlich gelang es, aus dem wirren Durcheinander des allgemeinen Erzählens ein Bild dessen zu gewinnen, was geschehen war.

Der Ton der Pfeifen und Trommeln hatte alles auf die Dorfstraße gelockt. Den Großen voran waren die Kinder jubelnd den einziehenden Soldaten entgegengelaufen, als ein barsches „Platz da“ ihres Führers, eines jungen Leutnants, die Freude in Furcht verwandelt hatte. Die Kinder hatten sich hinter den Großen verkrochen, die Männer eine drohende Haltung angenommen.

„Nur das rothaarige Lieserl stellte sich keck mitten auf die Straße,“ sagte die Alte, die noch auf dem Boden hockte.

„Und den Franz sah ich, wie er einen Stecken aus unserem Zaun riß und damit wild herumfuchtelte,“ berichtete zungenfertig eine andere. „Platz da – rief

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/405&oldid=- (Version vom 31.7.2018)