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„Ich glaube, daß wir vor einer großen Umwälzung stehen,“ schrieb ich an meine Kusine, „die Macht des Kapitals muß gebrochen werden. Vor hundert Jahren hat die Revolution den Absolutismus und den Feudalismus gestürzt, – sie waren dessen wert! –, eine künftige Revolution wird den Kapitalismus vernichten, und wir werden das wunderbare Schauspiel erleben, daß der Adel und die Arbeiter zusammen gehen.“

Die Deputation der Bergleute zum Kaiser schien mir der Auftakt des großen Schauspiels, das ich erwartete. Und die ersten Nachrichten von ihrem Empfang, von der Anerkennung ihrer Wünsche durch den Monarchen bestätigten meine Hoffnungen. Dann aber sickerten allerlei andere Gerüchte durch: die drei Deputierten waren keineswegs befriedigt zurückgekommen; kaum zehn Minuten hatte er Zeit gehabt, sie anzuhören, mit einer Drohung gegen alle, die sich den Anordnungen der Behörden widersetzen würden, hatte er seine Antwort geschlossen. Und was folgte, schien die Wahrheit der Gerüchte zu bestätigen: das ganze Streikkomitee wurde verhaftet, der Oberpräsident, der stets zu vermitteln gesucht hatte, mußte einem Nachfolger weichen, dem der Ruf eines Scharfmachers voran ging. „Studt ist ein glatter Höfling,“ schrieb mir mein Vater, „der mir neulich mit dem verbindlichsten Lächeln erklärte, daß meine offenbare Verkennung so trefflicher Leute, wie der Grubenmagnaten, höheren Orts unliebsam empfunden würde. Mich solls nicht wundern, wenn wir in Preußen noch mal so weit kommen, vor jedem Geldsack auf dem Bauche zu rutschen.“

Unter den Enttäuschungen litt ich, als beträfen sie mich selbst. Mit der Märtyrergloriole hatte ich das Haupt

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/408&oldid=- (Version vom 31.7.2018)