der erschossenen Bergmannsfrau und das rote Köpfchen des Proletarierkindes umwoben und den gräßlichen Eindruck in der eigenen Erinnerung verklärt; nun waren sie umsonst gestorben, und nichts als der schwarze Straßenruß umgab sie.
Ich war in wehmütig weicher Stimmung, als Syburg kam. Am Morgen desselben Tages hatte mir Anna mit einem selig-verschämten Lächeln von ihrer Mutterhoffnung erzählt, hatte mich in das weiße Zimmer geführt, das den jungen Erdenbürger erwartete,und all die weichen, duftigen Dinge aus Spitzen und Battist waren mir durch die Finger geglitten. Meine Hände waren heiß geworden dabei, und die Tränen waren mir in die Augen gestiegen. Und die kleine Anna hatte sich emporgereckt, um mich mit einem altklug wissenden Ausdruck auf den Mund zu küssen.
Nun ließ sie all die Kupplerkünste spielen, in denen junge, glückliche Frauen Meisterinnen sind. Sie pries neckend meine Schönheit und meine Tugenden, erzählte allerlei Abenteuerliches von meinen vielen Verehrern und ließ uns schließlich, Müdigkeit vorschützend, im Park allein. Syburg schien nur darauf gewartet zu haben.
„Ich möchte Klarheit haben zwischen uns, volle Klarheit, Fräulein Alix,“ begann er, zum erstenmal vertraulich meinen Namen nennend. Ich fuhr unwillkürlich erschrocken zusammen. Aber die Frage, die er stellte, war nicht die erwartete – gefürchtete. „Man hat mir erzählt, Sie hätten sich neulich nach dem Aufstand auf der Zeche Schleswig mit größter Schärfe für die Streikenden ausgesprochen.“
Ich bezwang meinen Zorn über diese Art, mich auf Herz und Nieren zu prüfen.
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/409&oldid=- (Version vom 31.7.2018)