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Vierzehntes Kapitel


Und nun kamen stille Wochen auf Hohenlimburg. Die Mutterhoffnung hatte Anna völlig verändert. Sie lernte die Einsamkeit lieben und überließ mich stundenlang mir selbst. In den ersten Tagen fürchtete ich mich vor jedem Postwagen, der ankam. Die Briefe, die er brachte, waren fast noch schlimmer, als die Ankunft des Vaters gewesen wäre, die ich erwartet hatte. Die Gründe, die mich bewogen hatten, Syburgs Werbung abzulehnen, hatte dieser natürlich in einer Weise dargestellt, die mich kompromittieren sollte. Über meine Sympathie mit den Bergarbeitern wurden, wie es schien, nicht ohne Syburgs Hilfe, wahre Räubergeschichten verbreitet, denen mein Vater zunächst Glauben schenkte. Und derselbe Mann, der eben erst gegen die Unternehmer gewettert hatte, gefiel sich jetzt in wilden Übertreibungen und beschuldigte mich, sein Unglück zu sein. „Daß ich, ein königstreuer Edelmann und Offizier, es erleben mußte, daß meine Tochter mit diesen wortbrüchigen Hallunken sympathisiert!“ schrieb er. Aber die Anschuldigungen, mit denen er mich in der ersten Aufregung überhäufte, trafen mich weit weniger als der tiefe Schmerz über mein Schicksal, der in seinen späteren, ruhigeren Briefen zum

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 410. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/412&oldid=- (Version vom 31.7.2018)