Ausdruck kam. „Wie hatte ich mich gefreut, dich versorgt zu sehen, ehe ich sterbe –“ dies Wort tat mir bitter weh. Meiner Mutter Briefe dagegen mit ihrem: „ich habe es vorausgesehen“, – „ich wußte, daß du dich nie in geregelten Bahnen bewegen würdest“ – „deine Romane sind nur um ein Kapitel reicher geworden“ empörten mich.
Auch meine Tante schrieb mir. „Deine Ablehnung einer, wie mir Hans mitteilte, so ungewöhnlich guten Partie ist ein Schaden, den du dir selbst zugefügt hast, und dessen Folgen du ebenso zu tragen haben wirst wie die sonstigen Folgen deines Eigensinns …“
Schweigend ließ ich alle Vorwürfe über mich ergehen. Ich machte weite Spaziergänge, auf denen mir der schwarze Cäsar, der treue Hofhund, nicht von der Seite wich. Dem Zusammenhang meines Lebens suchte ich nachzuspüren: Was war es gewesen – was wollte es von mir? Und wenn es Abend wurde, schrieb ich nieder, was mir durch den Kopf gegangen war, und meine Feder brachte Ordnung in das Chaos meiner Gedanken.
„Der Bildhauer bildet sein Werk aus einem rohen Marmorblock, er behaut es, er glättet es, er sucht die weichen Formen einer Venus aus dem harten Material herauszuarbeiten. Es dauert lange, ehe er sich selbst genügt; nicht das lebende Modell will er kopieren, er will ein Schönheitsideal, das ihm beständig vorschwebt, verwirklichen. Anders der Handwerker, der rasch ein effektvolles Dekorationsstück schaffen will: er fertigt ein Holzgerüst, drapiert es mit Sackleinwand, wirft Gyps darüber und setzt eine fertig gekaufte Allerweltsgipsbüste darauf. Aus einiger Entfernung wirkt
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/413&oldid=- (Version vom 31.7.2018)