aus meinem Vorgehen die heftigsten Vorwürfe machte. ‚Geschieht, was du in deiner Unkenntnis der Welt und der Menschen als dein Glück ansiehst, so geht Ihr zugrunde,‘ sagte er. Meine geliebte Alix, – sind wir nicht in einer Hinsicht wirklich unwissende Kinder? Es sollte doch keiner von uns zugrunde gehen! Wir haben doch beide eine Mission! Es gibt so gar wenige, die unseren Enthusiasmus für unsere Sache haben! Sollten wir uns beide nicht dieser Sache erhalten? Vielleicht ist es ein Verhängnis, das der schönen Tochter der Exzellenz den alten Professor zurseite schob und in ein stilles, beschauliches, von allen irdischen Freuden abgeschlossenes Gelehrtenleben plötzlich eine Fee hineinversetzte. Sollten wir dies Verhängnis nicht in ein segensreiches Schicksal verwandeln können, wenn wir, wenn vor allem ich mich selbst bezwinge? …
Drei Stunden täglich Liebe und Sonnenschein? Ist das nicht viel? Die armen Millionen, denen sie nimmer scheint, die liebe Sonne! Ich freilich dürste nach mehr, aber dann geht einer von uns zugrunde!! – Und lieber lebe ich dauernd in tiefster Nacht, als daß ich über das Haupt des liebsten Menschen solch Schicksal heraufbeschwöre!
Machen wir also den ernsten Versuch, geliebte Freundin, uns mit ein wenig Glück – für mich ist das schon überschwenglich viel! – und viel Arbeit zu begnügen, und bitte Deine Eltern, daß sie es Dir leicht machen sollen …“
Aber seine Blicke straften die scheinbare Ruhe dieser Verzichtleistung Lügen. Das strahlende Licht war aus seinen Augen verschwunden, wie das sonnige Lächeln
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 581. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/583&oldid=- (Version vom 31.7.2018)