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Seite:De Memoiren einer Sozialistin - Lehrjahre (Braun).djvu/593

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Neunzehntes Kapitel


In einem Tal des Friedens lebte ich. Sanfte Höhenzüge hüteten es vor der Welt, wie freundliche Wächter. Meine Wege kannten keine jähen Abhänge mehr, an denen der Fuß ängstlich strauchelt, nirgends drohte ein Fels, kein Habicht lauerte auf meine singenden Vögel. Die Bäche dämpften ihr Geschwätz, der Wind streichelte leise Blätter und Blumen, der Sonne Licht war wie ein mütterliches Lächeln.

Wie kam es nur, daß die Tage vorüberflossen ohne Angst – ohne Streit, daß die Stunden nicht mehr erfüllt waren von der lastenden Luft heimlichen Zornes? Und daß ich sagen durfte, was ich dachte?! Wie war es möglich, daß ich kein Kettenklirren hörte, wenn mein Fuß neue Pfade betrat, daß ich nicht allein war und mich doch niemand scheltend zurückriß, wenn ich vom Berge weit – weit in die Ferne sah? Einer war neben mir und hütete jeden meiner Schritte und ging mir zugleich voran, ein Pfadfinder.

Der Pöbel strömte herzu mit seiner Neugierde und seiner Niedrigkeit, aber unsichtbare Kräfte verschlossen ihm unser Tal des Friedens. Wir allein gingen ungehindert ein und aus. Aber ob wir gleich in der Welt wandelten und unsere Schwerter kreuzten mit

Empfohlene Zitierweise:
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/593&oldid=- (Version vom 31.7.2018)