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nichts angingen, bewegten sich die Menschen darin. Ich hörte Worte, mit denen sich mir kein Sinn verband, und leises Schluchzen, das von weit her kam. Um den Tisch hinter der schwarzen Gestalt des Pfarrers schwebte eine Woge weichen Blumendufts zu mir herüber, ein weißes Kreuz leuchtete auf grünem Grund, – es hatte einst auf Großmamas Schreibtisch gestanden – und die schwarze Schrift darauf war die Traupredigt, die ich allein vernahm: „Die Liebe höret nimmer auf.“ Ein paar Händedrücke fühlt’ ich noch, eine paar zeremonielle Küsse auf der Stirn – Kleiderrauschen – halblautes Schwatzen – Türen schlagen – und noch einmal den grellen Ton der Glocke: Ein Telegramm. „In zärtlichster Liebe bin ich bei dir und Georg. Dein Vater.“

Dann ward es still, ganz still bei uns. Wir waren allein.

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/592&oldid=- (Version vom 31.7.2018)