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hohläugigen, müden Frauen, von blassen um ihre Jugend betrogenen Mädchen qualvolle Leidensgeschichten erzählen. Der hohe Spiegel, der das Bild der schönen, glücklichen Frau wiederstrahlt, hat vielleicht ein keimendes Leben vernichtet … Und der Damast, der unsere Tafeln deckt, – Leopold Jakoby singt von ihm: ‚Daraus hervor grauenhaft – das Gespenst des Hungers grinst mich an – über den Tisch …“

Ein Aufseufzen ging durch den Saal wie eine schwere Woge, die mich trug – mich empor hob – hoch – immer höher, so daß meine Stimme über alle hinweg in die Ferne drang.

„… die Prostitution ist das einzige Privilegium der Frau … Ein Mädchen darf, solange es minorenn ist, ohne die Einwilligung ihres Vaters nicht heiraten, aber es darf sich preisgeben, ohne daß sein Vater es daran hindern kann. Die Frau darf – bei uns in Deutschland! – nicht Medizin studieren, weil man für ihre Weiblichkeit so zärtlich besorgt ist und ihre Sittlichkeit hüten will, aber sie darf sich einen Gewerbeschein verschaffen, der sie berechtigt, sich und andere physisch und moralisch zugrunde zu richten. Sie darf – bei uns in Deutschland! – an keiner öffentlichen Wahl sich beteiligen, aber sie darf von ihrem durch den Verkauf ihres Körpers schmählich erworbenen Geld dem Staate Abgaben zahlen …“

Jetzt war es der Sturm, der von drüben mir entgegenschlug, – der Sturm der Empörung, und mein war die Macht, ihn zu lenken, wo es Ruinen einzureißen, dürre Bäume zu stürzen galt!

„… Was tun? fragen wir mit dem großen russischen

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Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/613&oldid=- (Version vom 31.7.2018)