Dichter, dessen Werk nur ein Ausdruck des Gefühls von Hunderttausenden ist. Wir werden nicht mehr petitionieren, sondern fordern, uns nicht mehr hinter den verschlossenen Türen unserer Vereine über unsere frommen Wünsche unterhalten, sondern auf den offenen Markt hinaustreten und für ihre Erfüllung kämpfen, gleichgültig, ob man mit Steinen nach uns wirft …“
Brausender Beifall unterbrach mich, – ich sah nur Georg, der weit vorgebeugt in seinem Rollstuhl saß und die Augen nicht von mir ließ.
„… Aber was wir auch fordern mögen zugunsten unseres Geschlechts, das die wirtschaftliche Entwicklung aus dem Frieden des Hauses hinaus in den Kampf ums Dasein trieb, – man wird uns mit Phrasen und kläglichen Pflastern für unsere Wunden abspeisen, solange die politische Macht uns fehlt …“
Erneuter, dröhnender Beifall, – aber von irgendwo her mischte sich ein giftiger, zischender Laut hinein.
„… Von der geistigen Inferiorität der Frau höre ich große und kleine Leute sprechen, die, darauf gestützt, unsere Forderung der politischen Gleichberechtigung glauben ablehnen zu dürfen. Aber erst wenn die Frauen ebenso viele Jahrhunderte lang wie die Männer die Hilfe der Wissenschaften, die Schulung des Lebens und den Sporn des Ruhmes genossen haben werden, wird es an der Zeit sein, zu fragen, wie es mit ihrem Verstande steht. Das weibliche Geschlecht – so wirft man weiter ein – habe noch kein Genie hervorgebracht. Hat man bei den Negern Amerikas auf das Genie gewartet, ehe man ihnen politische Rechte gab? Hat man ihre Gewährung beim Mann von einer Prüfung seiner
Lily Braun: Memoiren einer Sozialistin. Albert Langen, München 1909, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Memoiren_einer_Sozialistin_-_Lehrjahre_(Braun).djvu/614&oldid=- (Version vom 31.7.2018)