„Mach’ es, bitte, etwas schneller!“ rief ihr der Mann zu. „Es ist schon spät!“
Sie passierte ein dunkles Tor und ging die Allee entlang, die vom Tore zur Hauptkirche führte; der Schnee knirschte unter ihren Füßen, und das Glockengeläute tönte direkt über ihrem Kopfe und durchdrang gleichsam ihr ganzes Wesen. Da ist schon die Kirchentür, drei Stufen führen hinab, dann kommt die Vorhalle mit Darstellungen von Heiligen zu beiden Seiten, es riecht noch Wacholder und Weihrauch; dann kommt noch eine Türe, eine dunkle kleine Gestalt macht sie vor ihr auf und verbeugt sich tief, fast zur Erde… Der Gottesdienst hat noch nicht begonnen. Eine Nonne geht vor der heiligen Wand hin und her und entzündet die Kerzen, eine andere zündet die Lichter im Kronleuchter an. Hier und dort stehen an den Säulen und vor den Seitenkapellen unbewegliche schwarze Gestalten. „So werden sie jetzt hier bis zum Morgen stehen!“ dachte sich Ssofja Lwowna, und es kam ihr hier so finster, kalt und langweilig vor, viel öder als auf einem Friedhofe. Gelangweilt betrachtete sie die unbeweglichen, gleichsam erstarrten Gestalten, und plötzlich krampfte sich ihr Herz zusammen. In einer der Nonnen, die klein gewachsen war, schmächtige Schultern und ein schwarzes Tüchlein auf dem Kopfe hatte, erkannte sie, sie wußte selbst nicht woran, Olja, obwohl Olja, als sie ins Kloster ging, voller und vielleicht auch größer ausgesehen hatte. Unentschlossen, in starker Erregung ging Ssofja Lwowna auf die Novize zu, blickte ihr über die Schulter ins Gesicht und erkannte Olja.
„Olja!“ rief sie und schlug die Hände zusammen. Vor Erregung konnte sie kaum sprechen. „Olja!“
Die Nonne erkannte sie sofort; sie hob erstaunt die
Anton Pawlowitsch Tschechow: Von Frauen und Kindern. Musarion, München 1920, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Von_Frauen_und_Kindern_(Tschechow).djvu/183&oldid=- (Version vom 31.7.2018)