sollen, gedachte er der eigenen Mutter, die er nicht gekannt, und fühlte sich dann noch winziger und verlorener inmitten der großen fremden Welt.
Fräulein Conchita, die ein Stübchen im obersten Stockwerk bewohnte und allabendlich mit rotgeschminkten Wangen auf die Straße eilte, war die einzige, die im Vorübergehen ein freundliches Wort für Paquito übrig hatte und ihm bisweilen mitleidig den Kopf streichelte. – »Auch so eine!« sagte dann, ihr geringschätzig nachblickend, die fromme Anastasia, die in Hemd und Unterrock dastand, das braune, furchenreiche Antlitz von weißem Haar umgeben, wie verwitterter Felsen, auf dem silbriger Schnee lagert. »Laßt doch die Conchita tun, was in Euren Jahren nicht mehr nachzuholen ist,« antwortete Don Antonio, der die Alte zu ärgern liebte.
Don Antonio und Donna Anastasia vertraten in diesem Hofe die beiden großen Parteien des Landes, die Liberalen und die Klerikalen. Wenn die vielen Glocken der Stadt zum Angelus oder Ave riefen, unterbrach Anastasia das Tortillabacken, um lateinische Worte zu rezitieren, die sie einst bei den Nonnen gelernt, als es in Mexiko noch Klöster gab; sie war zur Vorbeterin für die minder gelehrten Nachbarn geworden und genoß bei ihnen jenes ehrfurchtsvolle Ansehen, das geistliche Beziehungen zu verleihen pflegen. In allen Dingen
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/059&oldid=- (Version vom 31.7.2018)