Maria del Carmen, die glutäugige, antwortete: »Maria de los Dolores erzählte uns eben eine Sage von der Liebe.«
»So eine traurige Sage,« hauchte die schmachtende Maria de la Soledad.
»O Mädchen, was wollt ihr nur immer mit der Liebe!« sagte die Königin spöttisch.
Doch die sanftblickende Maria de la Merced warf schüchtern ein: »Ach, Königin, in meiner Heimat, drunten am Meeresstrand, sagen sie, die Liebe allein mache das Leben wert, gelebt zu werden, und Schöneres gäbe es nirgends auf Erden, auch nicht jenseits der Ozeane, von wo Ihr gekommen seid.«
»Wir haben die Tat und die Kraft und das Streben,« antwortete die Königin, »was wißt Ihr hier davon? - Doch,« setzte sie hinzu, »Maria de los Dolores mag uns nun die Sage erzählen.«
Die Königin hatte sich auf eine der alten Steinbänke des vorspringenden Altans gesetzt. Marmorgleich hoben sich die Umrisse ihrer weißen Gestalt von dem Himmel ab, den die sinkende Sonne golden und rosenrot malte. Maria de los Dolores lehnte an einem der mächtigen Stämme, die Gefährtinnen zu ihren Füßen gelagert, aufschauend in das Dachwerk verschlungener Äste und tiefgrüner Blätter, hub sie zaghaft an:
»Es ist nur eine ganz kleine Geschichte, o Königin,
Elisabeth von Heyking: Weberin Schuld. G. Grote’sche Verlagsbuchhandlung, Berlin 1921, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Weberin_Schuld_Heyking_Elisabeth_von.djvu/087&oldid=- (Version vom 31.7.2018)