das sie Heimat nannten. Bei Spielen wollten sie auch nie Römer, sondern immer Germanen sein, und als ihnen ihr damaliger Hauslehrer sagte, die Römer hätten jene Germanen Barbaren genannt, da lachten sie nur und riefen trotzig: „Ach was, Barbaren! Unsere Vorfahren waren es!“ Die Geschichte ihrer Gegend kannten sie ganz genau und wußten, welche Schlösser ursprünglich Burgen gewesen, die die Deutschen gegen die Wenden errichtet hatten. Es war aber auch eine Gegend, über die sich viel lernen ließ, und weltbekannte Orte enthielt sie, bei deren Nennung man stolz oder traurig werden konnte, je nachdem. Im Herzen Deutschlands, wie der Hauslehrer sagte, lag ja Großmamas Schloß, und auf Fußwanderungen oder auch mit dem Auto, das Großmama seit einigen Jahren besaß, gelangte man leicht an die berühmtesten Stätte. Erfurt, wo Luther studierte, lernten die Knaben auf solchem Ausflug kennen, und die Wartburg besuchten sie, wo er wohlgehütet gesessen. Der furchtbare Krieg, der dann über Deutschland gekommen, hatte gerade in ihrer Gegend so manche Erinnerung hinterlassen. In Magdeburg waren sie in dem Dom gewesen, der allein nach dem Brand bei der Tillyschen Belagerung übriggeblieben, und in Weißenfels kannten sie das Zimmer, wohin Gustav Adolfs Leiche von Lützen aus gebracht worden. Auch erfüllte es sie mit Stolz, daß zwei Siege Friedrichs des Großen, bei Roßbach und Torgau, auf ihrem nähern Heimatboden erkämpft worden waren. Aber auch jüngere Begebenheiten hatten sich nicht weit von Großmamas Schloß zugetragen. Saalfeld gehörte zur
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/16&oldid=- (Version vom 31.7.2018)