den Zug entlang gelaufen. In jeden Wagen steckte er revidierend den breiten, roten Kopf, auch in den der sechs Primaner. „Na, Kinderchen,“ sagte er, „kommt mir man ja gesund wieder heim.“ Und Großmamas Enkel stand stramm vor dem Gestrengen: „Zu Befehl, Herr Wachtmeister, wollen sehen, was sich machen läßt.“ Dann hub die Musik zu blasen an, ein Zittern ging durch die Wagenreihen, die Räder begannen sich zu drehen, unter Gesang, mit wehenden Tüchern und letzten noch hin und her gerufenen Worten rollte auch dieser Zug davon.
Von den Zurückbleibenden weinte niemand, sie sprachen nur alle etwas laut und hastig, als sei da etwas, das übertönt werden müßte.
Der Tod des ältesten, das Ausrücken des jüngsten Enkels folgten so rasch aufeinander, daß es Großmama erst nach ihrer Heimkehr aus der Garnison ganz zum Bewußtsein kam. Sie saß nun oft in dem geschütztesten Teil des Gartens, wo nach den Sommerblumen jetzt Malven, Dahlien und Herbstanemonen blühten. Und sie sah über die sanft abfallenden, gemauerten Terrassen hinab in das Tal, sah, wie sich die allherbstliche Wandlung vollzog, die Blätter der Kirschenplantagen an den Hängen rubinrot zu leuchten begannen, auf den abgemähten Wiesen die Zeitlosen ihre lila Kelche öffneten und aus blassem Dunst die vereinzelten Baumgruppen golden hervorschimmerten. Der reife Sommerzauber war vom Antlitz der Gegend geschieden, einer schön gewesenen Frau glich sie jetzt, die ihre welkenden Züge hinter weich verschleiernde
Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)