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Auch Dorothee war betroffen, als die Hausherrin ihr den Fremden vorstellte. Ein völlig neuer Menschentypus war er für das baltische Komteßchen, und doch kam er ihr aus irgendeinem geheimen Grunde doch sofort bekannt vor. Unwillkürlich sagte sie: „Mir ist, als hätt’ ich Sie schon irgendwo gesehen, Herr Marchese.“

„Wie sollte mir solch Glück widerfahren sein, da ich mich doch nicht darauf zu besinnen vermag,“ antwortete er und blickte sie aus großen dunklen Augen an. Sobald aber Dorothee in diese Augen geschaut, schien die ganze Umgebung um sie her zu versinken, weit fort von Petersburg wähnte sie sich, daheim wieder im Märchensaale, und voller Entzücken rief sie: „Oh, jetzt weiß ich es. Sie sind ja der Lautenspieler unter den blühenden Orangenbäumen auf dem Bild in Burkahnen.“

Als der Marchese nun verwundert eine Erklärung der rätselhaften Worte erbat, war sie so reizend in ihrer Verwirrung, und ihr Gesichtchen errötete so lieblich zwischen den regelmäßig herabhängenden goldenen Locken, daß ihm war, als habe er nie ein so holdseliges Menschenkind geschaut.

Il a reçu le coup de foudre, dachte beobachtend Tante Sonja. Und „coup de foudre“ diagnostizierte bei ihm auch bald die ganze Petersburger Gesellschaft. Weniger sicher war man, was die scharmante Tochter des Ostseeritterlandes empfände, denn sie schien durch doppelte Zurückhaltung ausgleichen zu wollen, was ihr Benehmen im ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft vielleicht an allzu harmloser, beinahe kindlicher Unbefangenheit

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Elisabeth von Heyking: Zwei Erzählungen. Philipp Reclam jun., Leipzig [1918], Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Erz%C3%A4hlungen_Heyking_Elisabeth_von.djvu/95&oldid=- (Version vom 31.7.2018)