Morgens vor seiner Thür. Dazu gehören Jahre! – Du aber hast seit Jahren die Praxis versäumt, und Deine Wissenschaft aus Liebhaberei studirt, wie ein reicher Mann der Du bist; da kostet es große Mühe und Anstrengung um wieder einen Broterwerb aus ihr zu machen. Du wirst zurückfallen in Deinen früheren Mißmuth, wirst verstimmt, bitter, unzufrieden mit Dir selbst und der Welt werden, wirst Deine Liebe keinen Zauber nennen, sondern eine Entzauberung, wirst leiden und Leid verhängen, wirst Dich in Reue verzehren. Nein, Leonor! so wie Du in diesen vier entscheidenden Jahren den Zuschnitt Deines Lebens gemacht hast – ist Dein Glück nicht hier, und Du hast ein Herz welches des Glücks bedarf um nicht zu verzagen. Du bist wie der Schmetterling für den Sonnenschein geboren. Es giebt solche Naturen .… Unwetter lähmt sie .…
erkenne die Deine, mein geliebter Leonor! Es ist ja nicht ein Mensch wie der andre beschaffen, so daß Jeder mit Gleichmuth den Wechsel der äußern Schicksale ertragen und sich darin zurechtfinden könnte; Du vermagst es gar nicht .… Dir gehen gleich die Wellen über den Kopf. Als ich Dir vor vier Jahren rieth sparsam zu sein und Dir aus Deinem glänzenden Einkommen ein kleines Vermögen zu sammeln um in der Zukunft – die jezt Gegenwart ist
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/193&oldid=- (Version vom 31.7.2018)