Glaube der alleinseligmachende und ganz unabhängig von kirchlicher Glaubenslehre sei. Stimmte Aurorens Glaube mit letzterer zusammen, so gönnte sie ihn ihr von Herzen ohne ihn theilen zu können; allein sie begehrte dieselbe Toleranz von der Schwester ohne sie zu finden. Sie wäre sehr gern bereit gewesen im ruhigen Ton der Disputation mit Auroren das Für und Wider ihrer beiderseitigen religiösen Richtung zu besprechen, während Aurora nichts als Bekehrung im Sinn hatte. Cornelie ließ also dies Thema gänzlich fallen und sprach von andern Dingen; Aurora interessirte sich für nichts Anderes – so kam es daß die Schwestern sich wenig zu sagen und zuweilen in einem Vierteljahr keine Nachricht von einander hatten. Ihre Intimität hatte gänzlich aufgehört.
Aurora verfiel in jenen krankhaften Fanatismus, der fast immer die Folge eines überreizten, unruhigen Herzens ist. Sündhaft erschien ihr das Leben, verwerflich die Erde und die irdischen Verhältnisse, selig der Tod, der sie mit ihrem Heiland vereinigte. So lange sie auf dieser Sündenwelt war, gab es keine andere Vereinigung mit dem Heiland, als durch Gebet, und da diese der Endzweck ihres Strebens und das letzte Ziel ihres Glaubens war, so wurde das Gebet gleichsam ihre fixe Idee. Sie
Ida von Hahn-Hahn: Zwei Frauen. Zweiter Band. Berlin 1845, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwei_Frauen_(Hahn-Hahn)_v_2.djvu/205&oldid=- (Version vom 31.7.2018)