Karoline vermochte es nicht, im Verkehr mit Schülern etwas andres als Lehrerin zu sein.
„Weil ich nu kein Butterbrot mehr mitgebracht krieg“, sagte Thedche ruhig.
„Gibt dir denn dein Vater nichts?“ rief Frieda mitleidig.
„Ja, jeden Tag ’n büschen, aber, da werd ich nicht satt von.“
„Was ist dein Vater?“
„Er arbeit’ in die Zuckerfabrik.“
„Kann denn deine Mutter nichts mit zuverdienen?“ fragte Karoline.
Der Junge verzog den Mund zum Weinen: „Sie is uns ausgekratzt, sagt mein Papa.“
Die beiden Mädchen sahen sich an.
„Warum denn das,“ rief Karoline neugierig.
„Sie hat ’n andern g’hatt, un mit den is sie uns ausgekratzt.“
Karoline räusperte sich heftig. Frieda strich ihm über das nasse Haar. „Da, trink den warmen Kaffee, Theodor, kriegst auch noch ein Stück Kuchen, wenn du dies aufhast.“
Der Kleine sah mit einem verwunderten Blick auf die liebkosende Hand, dann begann er so eifrig zu kauen, daß er dunkelrot wurde und sich verschluckte. „Laß dir Zeit,“ ermahnte Frieda, „du bist wohl ganz naß?“
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/126&oldid=- (Version vom 31.7.2018)