Hier endlich war es einsam, wenn auch nicht still. Der Nordweststurm, der schon seit Tagen gewütet, empfing ihn mit gellendem Pfeifen und Brausen hier auf dem schmalen niedrigen Elbwärder, wo nichts seine Gewalt abschwächte. Er war zuweilen hier gegangen, in Sommer- und Herbsttagen, wenn der Wind schwer ist von dem Duft des fetten Grases, den er oft meilenweit stromabwärts trägt, und so dem seemüden Reisenden das vertraute Bild der grünen Triften und der behäbigen, wiegend hinwandelnden Marschkühe vor die Augen zaubert. Das war „vorher“ gewesen, alles „vorher“. Jetzt schien es, als habe er sich auf diesem Wege in die Gewalt von tausend Teufeln begeben, die ihm den Hut herunterrissen, ihm seine Haare ins Gesicht schlugen, die ihm die Haut mit scharfen Nägeln zerkratzten und ihm die Augen mit blendendem Eisstaub, die Ohren mit zischendem Geheul füllten. – Aber unter diesen wilden Angriffen fand er seine Jugend und Stärke wieder. Er trat fest auf wie früher, ehe die Angst über ihn gekommen war, nahm den Hut in die Hand, der auf dem Kopf nicht halten wollte, machte sich steif in den Knien und kämpfte sich Schritt für Schritt weiter, bis an die Elbbrücke, die ihm von Ferne her, umdonnert von den rasenden Wellen, umtanzt von den schreienden Sturmgespenstern, den weißen, spitzflügeligen Möwen, mit sonderbarer Gelassenheit
Ilse Frapan-Akunian: Zwischen Elbe und Alster. Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Leipzig 1908, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Zwischen_Elbe_und_Alster_Frapan_Ilse.djvu/237&oldid=- (Version vom 31.7.2018)