Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/103

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behagte, daß die Miß einige Tage zu verweilen beschloß. Am nächsten Tage hörten wir über Tische eine bezaubernde Musik im Nebenzimmer, wir vergaßen darüber die duftenden Schüsseln und gingen an die Thüre, um zu lauschen. Wir konnten jeden Ton vernehmen; eine Meisterhand spielte die Harfe, und eine Frauenstimme, weich und rein, sang rührende englische Balladen dazu, ganz mit dem Ausdruck einer Künstlerin. Unsere Neugierde stieg auf’s Höchste, so daß wir nicht umhin konnten, den aufwartenden Kellner nach den Musikern zu fragen. Er antwortete devot: Es ist die englische Schauspielerin B. und der berühmte Harfenspieler B. – Wahrhaft komisch war die Wirkung dieser Worte auf die Miß; ihr Gesicht, welches bis jetzt die angenehmste Spannung ausdrückte, wurde plötzlich lang und drückte ungefähr dieselbe Täuschung aus, als hätte sie statt in einen Apfel in eine Quitte gebissen. „Wenn es weiter nichts ist, sagte sie, als diese ihrem Mann entlaufene Schauspielerin mit ihrem Liebhaber, so war es nicht der Mühe werth, das Essen kalt werden zu lassen.“

Während dieser Worte hatte sie bereits ein Rebhuhn unter dem Messer.

Es war Sonntag; wir hatten früh in der englischen Kirche eine gute Predigt gehört und fuhren Nachmittag um die Stadt, deren Anlagen wir nicht genug bewundern konnten. Im Vorbeifahren sahen wir auch den Sitz Rothschild’s mit seinem paradiesischen Garten, dann ließen wir uns das alte Haus in der Judengasse zeigen, welches seine fast hundertjährige Mutter noch bewohnte, weil sie sich nicht entschließen konnte, den häßlichen Ghetto zu verlassen. Woher kommt nur die Liebe der Juden zu Dunkelheit, Schmutz und Geld? Ein Reisender, mit dem wir uns im Hotel kurze Zeit unterhielten, sagte in dieser Beziehung: „Glauben Sie mir: Jude bleibt Jude, er mag sich stellen wie er will, sogar seinen Dialekt kann er nie ganz ablegen. Bei Herrn v. Rothschild erlebte ich einst ein recht auffallendes Beispiel davon. Eine Gesellschaft besah seinen Garten, darin auch den großen Pavillon, wo eben die Tafel gedeckt war. Man bewunderte den Reichthum an Silber und allerlei kostbarem Geräth, und eine Dame rief begeistert: „Wahrlich, das ist des Welt-Banquiers ganz würdig!“

„Kost’ aber aach viel Geld!“ sagte hinter uns eine freundliche Stimme, wir sahen uns um, und siehe da, der Herr Baron stand