Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/104

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selber vor uns, selbst offenbar verlegen über diesen Ausbruch seines inneren Menschen, den er nicht hatte verhindern können.“

Am folgenden Tage ließen wir uns Göthe’s Familienhaus zeigen und waren von dem Umstande betroffen, eine Lyra in Relief über dem Eingange zu sehen; man sagte uns, daß sie das Wappenbild der Familie sei. Mit besonderer Rührung erfüllte der Anblick des Zimmers mein deutsches Herz, worin Göthe geboren wurde, und welches er noch bei seiner letzten Anwesenheit bewohnt hatte. Das Bett und alle übrigen Geräthe waren genau in dem Zustande, in dem er sie verlassen hatte; auf seinem Pulte stand noch seine Gyps-Statuette, die ihm am meisten gleichen soll, und welche, da kürzlich sein Geburtstag gewesen war, mit einem Lorbeerkranze geschmückt war. Das Haus ist ganz einfach und bietet außer den Versen, welche er kurz vor seinem Tode dichtete, keine Merkwürdigkeiten. Dieses Gedicht war und ist so viel mir bekannt, niemals im Druck erschienen. Miß M. war nicht weniger als ich von der Umgebung ergriffen, denn sie war eine glühende Verehrerin des großen Dichters und hatte Vieles von ihm übersetzt. Die Engländer wissen überhaupt Göthe sehr zu schätzen, insonderheit seinen Faust, sagen jedoch, daß er im Ganzen überschätzt worden sei.

Ohne irgend etwas Anderes zu sehen, verließen wir Frankfurt und reisten durch meist anmuthige Gegenden nach Fulda, zunächst dem Thüringer Walde zu. Fulda, früher Fuld genannt, gehört zu den ältesten und merkwürdigsten Städten Deutschlands, denn hier gründete schon der deutsche Apostel Bonifaz zu Anfang des achten Jahrhunderts die Abtei, welche später deutsches Reichsfürstenthum ward, hierher verbannte Karl der Große 788 den Herzog Thassilo von Baiern als Mönch für wiederholten Friedensbruch. Die Schulen zu Fulda gehören zu den ersten und ältesten Pflanzstätten deutscher Cultur. Meine Gebieterin fand nun einmal in echt englischer Beschränktheit an deutschen Alterthümern kein Interesse, und so hielten wir uns denn weder hier noch in Eisenach auf. Destomehr erquickte ich mich an dem herrlichen thüringer Walde, ich konnte seine Schönheit nicht genug bewundern und hatte die Genugthuung, daß auch die Brittin mit einstimmen mußte. Das herzogliche Schloß in Gotha gewährte einige Stunden angenehme Unterhaltung; es enthält eine sehenswerthe Gemälde-Galerie, in den einzelnen Zimmern viele treffliche Portraits, ein bedeutendes chinesisches Cabinet von Waffen, Geräthschaften, Porzellanen und Costümen,