Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/121

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Am folgenden Abend, bald nachdem Miß Ch. von ihren Geschäften zurückgekehrt war, erschien Herr v. T. und erkundigte sich sehr angelegentlich nach unserem Befinden. Bald kamen noch einige Freunde Miß Ch.’s hinzu, und es entspann sich eine allgemeine und höchst interessante Unterhaltung, in welcher Herr v. T. einen großen Reichthum von Geist und Kenntnissen entfaltete; dabei machte er besonders bei den Damen Epoche, weil er alle Verhältnisse und Einzelheiten der europäischen Höfe genau kannte. Er gab so manche drollige Anecdote zum Besten, was alles in Verbindung mit seinen geistvollen Bonmots ihn zu einem der angenehmsten Gesellschafter machte, die ich jemals beobachtete. Von jetzt an besuchte er uns täglich und beschenkte uns auch wohl mit Niedlichkeiten und wundervollen Südfrüchten in Flaschen, wie auch mit anderen Leckereien.

Eines Tages kamen Miß Ch. und ich auf Frau E. zu sprechen, wobei mir jene erzählte, daß letztere ihr zum Etabliren ein Kapital geliehen habe, wiewohl nur gegen zweifellose Sicherheit, indem Herr C., einer ihrer ältesten Freunde, sich habe verbürgen müssen. Nebenbei beklagte sie sich sehr über den Eigennutz und die Härte der Miß E. im Zinsenpunkte, und fragte mich zugleich nach meiner bezüglichen Ansicht über diese Dame. Ich erzählte ihr hierauf die Geschichte von den zehn Pfund jährlichen Gehaltes, ohne jedoch Mistreß E. zu beschuldigen oder zu verdächtigen.

„Dieser Zug entspricht der Excentricität ihres Charakters vollkommen, sagte Miß Ch., denn Niemand ist verschwenderischer als Frau E., wenn es ein Tractement gilt, oder wenn es sich überhaupt handelt, sich sehen zu lassen, und Niemand ist geldgieriger und knickeriger als sie unter Hand.“

Von Zeit zu Zeit besuchte ich auch Miß M., welche fortfuhr, dasselbe Wohlwollen wie früher mir zu erweisen.

Eines Tages erhielt ich einen Besuch Seitens einer Dame von sehr distinguirtem Aeußeren und liebenswürdigem Betragen. Sie sagte mir, sie habe gehört, daß ich eine Anstellung suche, zugleich aber so viel Gutes von mir erfahren, daß sie gekommen sei, mir die Stelle einer Gesellschafterin bei ihrer einzigen achtzehnjährigen Tochter anzubieten, nebst einem Gehalte von hundertunddreißig Pfund jährlich. Ich dankte ihr für ihr großmüthiges Vertrauen und Anerbieten, und bat sie, mir zu sagen, wem ich dieses Glück verdanke und wen ich die Ehre habe vor