Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/150

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das Geschütz ihrer bösen Zunge indirect auf mich, was jedoch von mir mit eiskalter Verachtung aufgenommen ward.

Ich ließ niemals meine Persönlichkeit mit meiner Pflicht in Conflict gerathen; als ich daher die ärztliche Erlaubniß hatte, nahm ich den Unterricht mit Eifer wieder auf und gab mir die größte Mühe, den Geist meiner Schülerinnen zu bereichern und Fanny’s Herz zu veredeln. Insbesondere ließ ich ihr die herzlichste Theilnahme und Schonung angedeihen, nahm sie auch gegen alle Ungerechtigkeiten ihrer Tante in Schutz, die sie gewöhnlich nur la petite servante nannte. Meine Vorräthe an Lebensmitteln, welche ich wieder regelmäßig geschickt bekam, theilte ich nicht blos mit Fanny, sondern selbst die übrigen Familienglieder nahmen an unsern Mahlzeiten sehr gern Antheil, besonders Jane und Georgina. Einige Male hatte Lady W. meine Rebhühner, die ich in den Keller hatte stellen lassen, sich angeeignet. Fanny fühlte sich unbeschreiblich unglücklich, sie versicherte mich oft, daß es ihr einziger Wunsch sei, einen Curat zu finden, der sie entführen wolle, um der Speculation ihrer Familie entrückt zu sein, welche sie mit Herrn W.’s ältestem Sohne Richard, ihrem heftigsten Antipoden, vermählen wollte. Algernon, der für den an mir verübten Bubenstreich nicht die mindeste Züchtigung empfangen hatte, genoß außer meinem Unterricht, für den ich gar nicht engagirt war, keinen, sondern trieb sich die meiste Zeit mit den Straßenbuben herum, Thierquälereien und andere schlechte Streiche ausübend. Ich hatte in dieser Familie nichts als Noth und Undank seither erfahren, die gewissenlose Mutter stand mir gegen die Angriffe ihres entarteten Sohnes nicht bei, und es war daher ganz natürlich, daß mir an diesem Engagement nichts lag und ich den letzteren nunmehr immer entschiedener selbst zurecht wies, selbst auf die Gefahr hin, jenes zu verlieren. Als daher Algernon, bereits ein angehender Wüstling, eines Tages sich eine Frechheit gegen mich erlaubte, reichte ich ihm ein Paar Ohrfeigen und beklagte mich gegen seine Mutter. Aber Lady Maria nahm nichtsdestoweniger nicht nur seine Parthie, sondern machte eine derartige Scene, daß ich noch am selben Tage das Haus verließ und nach London abreiste, wo ich mich bei einer anständigen Dame als Kostgängerin provisorisch verdingte, womit v. T. vollkommen einverstanden war. An Fräulein Louise C. verspürte ich sofort die Wirkung der ehrenwerthen Bemühungen meiner Landsmännin G., aus deren triefenden Augen eine selige Schadenfreude grinste; ich mußte lachen über den Haß dieser physischen