Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/151

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und moralischen Abnormität, und strafte sie für ihre Bosheit auf die empfindlichste Weise. Ich stellte mich nämlich traurig, wodurch sie veranlaßt ward, mir einzureden, daß es für mich am gerathensten sei, England schleunigst zu verlassen, und als sie nun so im besten Zuge war, dankte ich ihr plötzlich laut lachend für ihre herzliche Theilnahme, indem ich hinzufügte: „Was denken Sie, liebe G., ich England verlassen, nachdem ich in einem der ersten Häuser seit gestern angestellt worden bin?“

Ihr Gesicht wurde bei diesen Worten noch reizender, als es von Natur war, und sie fragte mit gedehntem Tone im langsamsten Adagio: „Darf man fragen, in welchem?“

„Bei der Marquise von S. mit hundert Guineen Gehalt,“ sagte ich kurz und ließ die neue Salzsäule stehen, deren letzter Ton ein langgezogenes Waaaas? war.

Der Marquis von S. war lange Gouverneur von Jamaika gewesen, hatte sich um die Emanzipation der Schwarzen und die Unterdrückung des Sclavenhandels sehr verdient gemacht und stand in hohem Ansehen, sowohl wegen seines Ranges und Reichthums, wie wegen seiner persönlichen Eigenschaften. Ich hatte bei meiner Unterhandlung mit der Marquise von meinem Aufenthalt in Lady W.’s Familie natürlich nichts erwähnt, als ich sie jedoch und sie mich näher kannte, erzählte ich ihr sehr ausführlich, wie es mir dort gegangen war und weshalb ich so plötzlich das Haus verlassen hatte. Bei dieser Unterredung erfuhr ich, daß Fanny mit einem Curat davon gelaufen war und sich vom Schmidt in Gretna Green hatte trauen lassen. Ich fand in der Marquise von S. eine jener seltenen Mütter, die, gerecht und verständig, die Fehler ihrer Kinder sehen und zu bessern wünschen, während in vornehmen Häusern gewöhnlich der Sitz der Affenliebe ist. Sie machte mich sogleich mit den Charakteren meiner drei Zöglinge bekannt, von denen Harriett siebenzehn, Emily vierzehn und Hester sieben Jahre alt war, und gab mir Vollmacht, dieselben zu leiten und zu strafen nach meinem Gut dünken, mich versichernd, sie nehme nie eine Klage von ihren Kindern über die Gouvernanten an, welche letztere sie vielmehr immer unterstütze. Die Behandlung, welche mir in dieser Familie zu Theil ward, war eine sehr liebreiche und achtungsvolle, auf der Promenade, bei Tische und andern Gelegenheiten gaben mir die älteren Fräuleins, Elisabeth und Katharine, stets den Vorrang und erwiesen mir so manche Artigkeit, die