Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/152

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ich ihnen als eine sehr edle Herablassung auch dankte. Von dreizehn Kindern, welche die Marquise am Leben hatte, war erst die älteste Tochter verheirathet, von den fünf Söhnen war nur der älteste, Graf Altamont, zu Hause, zwei dienten ihrem Vaterlande, und zwei waren in Pension. Zwei kleine Mädchen waren noch in der Kinderstube. Mein Posten war jedoch trotz der außerordentlichen geselligen und anderer Vortheile, die ich genoß, ein höchst schwieriger, weil meine Vorgängerinnen ihren Zöglingen stets gehuldigt hatten, so daß meine geraden Ansichten von Recht, so wie mein Eifer für ihre Fortschritte durchaus keinen Anklang bei ihnen fanden. Leider waren Harriett und Emily schon in dem Alter, wo Lenksamkeit und Bildungsfähigkeit des Charakters nur ausnahmsweise noch zu finden sind, und es erforderte meinerseits weit mehr Nachsicht und Duldung als ein entschiedenes Entgegentreten. Denn hätte ich mir ihre Feindschaft zugezogen, so wäre Alles verloren gewesen. Die meisten Schwierigkeiten bot der Charakter Hesters, eines Kindes, welches von seinen Geschwistern ganz verzärtelt wurde und wie alle seines Gleichen war, boshaft, halsstarrig und lügenhaft. Die gelindeste Strafe, im Winkel stehen, erwiederte sie mit so heftigem Geschrei, daß Haus und Straße zusammenliefen, und erzählte dann trotz des Zeugnisses ihrer beiden anderen Schwestern, daß sie unbarmherzig geschlagen worden sei. Ich hatte ihretwegen viel Kummer und manchen harten Kampf zu bestehen, um so mehr, als die Familie eine sehr zahlreiche war, und die Schwierigkeit, allen gerecht zu werden, um so größer wurde. Obgleich ich dem edeln und würdevollen Benehmen der Marquise v. S., welche sich nie zu Intriguen und Gemeinheiten herabließ, volle Anerkennung zollen muß, die Familie auch einen hohen Grad von Bildung besaß, so vermißte ich doch die echte Religiosität mit allen ihren beseligenden Wirkungen, mit einem Worte, den eigentlichen Geist des wahren Christenthums, welcher Frau S. beseelte und einen so läuternden Einfluß auf alle ihre Umgebungen ausübte. Wie oft gedachte ich jener seligen Stunden, die ich mit jener Familie im traulichen Austausch unserer Gedanken, oder im Kreise gleichgesinnter Freunde, oder in der Kirche, oder in der Kapelle zubrachte, wo Herr H. die Weihe und Kraft des Christenthums darstellte und unseren Gemüthern die Begeisterung mittheilte, die ihn beseelte. O, ich hätte alle die glänzenden Bälle und Soireen, denen ich hier beiwohnte, und alle die Huldigungen, welche mir hier gezollt wurden, für eine einzige jener herzerhebenden Stunden