Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/153

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hingegeben. Leider starb Mistreß S. in diesem Frühling, und ich betrauerte in ihr meine beste Freundin und Beschützerin; ihr Andenken wird meinem Herzen unvergeßlich bleiben.




Achtzehntes Kapitel.




Seit ich wieder in London war, verging kein Tag, wo ich nicht meinen Freund sah, wenn ich ihn auch nur selten sprechen konnte, denn er machte es immer möglich, mir entweder auf dem Spaziergange zu begegnen oder mich am Fenster zu sehen. Selten verging auch ein Tag, an dem er mir nicht eine Ueberraschung bereitete, die nicht selten in sehr kostbaren, immer in den gewähltesten Geschenken bestand, obgleich ich ihn wiederholt gebeten hatte, es zu unterlassen, weil diese Aufmerksamkeiten die Neugierde und Mißgunst meiner Umgebungen erregten. Allein v. T. pflegte zu sagen: „Glaube mir, es ist besser, wenn Dich Deine Vorgesetzten beneiden, als wenn sie Dich für isolirt und verlassen halten, denn der Alltagsmensch verachtet den Unglücklichen, nur der Glückliche imponirt ihm, und nur edle Seelen achten den Menschen nach seinem inneren Werthe. Und dann macht es mich unendlich glücklich, für Dich zu sorgen und Deinen Wünschen zuvor zu kommen, ich finde darin Kraft, die Schmerzen der Sehnsucht während Deiner Abwesenheit zu ertragen, und eine Ahnung des Glückes, wenn ich Dir jeden Augenblick meines noch übrigen Lebens werde widmen können.“

Eines Tages erhielt ich einen Brief von Frau E., sie war in London und bat mich, sie zu besuchen. Ich fand sie in einer Stimmung zwischen Kälte und Verdrießlichkeit; es schmerzte mich, den gewohnten herzlichen Empfang zu vermissen, Kälte statt Wärme zu finden, und gedachte der Drohungen der Miß Ch. Ihr gutes Herz gewann indessen bald die Oberhand, und nachdem sie sich sehr genau nach meinen gegenwärtigen Verhältnissen erkundigt hatte, begann sie folgendermaßen: „Ich bedauere, Ihnen eine unangenehme Mittheilung machen zu müssen, aber ich halte es für meine Pflicht, Sie aus einer Täuschung zu befreien, welche, wenn Sie darin beharren, Ihr Unglück werden müßte.“