Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/154

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Ich wagte kaum zu athmen und blickte sie mit dem Ausdrucke der schmerzlichsten Spannung an.

„Ich habe mich, fuhr sie fort, nach Herrn v. T. erkundigt und aus zuverlässiger Quelle erfahren, daß er verheirathet ist!“

Mir vergingen einen Augenblick die Sinne und der Gedanke völliger Vernichtung zuckte schneidend durch mein Nervensystem. – Meine Erschütterung hinter erkünstelter Fassung bergend, sagte ich: „Es ist ein Irrthum, Herr v. T. war zweimal verheirathet, jetzt aber ist er Wittwer!“ – Mistreß E. blieb nichtsdestoweniger bei der Richtigkeit ihrer Nachricht stehen und forderte von mir bei Verlust ihrer Achtung und Protection, sofort mit Herrn v. T. zu brechen. Die Ankunft mehrerer Besucher unterbrach unser Gespräch, und ich benutzte die Gelegenheit, mich zu empfehlen. Sobald ich allein war, ging ich mit mir selbst zu Rathe, was ich thun sollte, war aber trotz meines Vertrauens zu T. so agitirt, daß ich kaum einen Entschluß gefaßt hatte, als ich ihn auch schon wieder verwarf. Ich prüfte T.’s Betragen und Handlungsweise gegen mich von Anfang unserer Bekanntschaft an genau, und fand sie so rein, so uneigennützig und edel, daß der bloße Gedanke an Täuschung oder Betrug von seiner Seite mir ein Verbrechen schien, dessen ich mich unmöglich schuldig machen mochte. Zuletzt dünkte es mich das Beste, ihm die Anklage offen vorzulegen, darauf schien er nach meinem Gefühle Anspruch zu haben; sollte er sich dann schuldig erweisen, so kümmerte mich die Lösung dieses psychologischen Räthsels nicht, hielt er diese erste Probe aus, so blieb mir eine weitere Untersuchung ja immer noch unbenommen. So ungefähr war der Gedankenzug in meinem erschütterten Innern. Da es eben die Zeit war, wo T. zu Hause zu sein pflegte, so nahm ich einen Wagen und fuhr bei ihm vor. Die Ueberraschung gelang vollkommen, man ließ mich unangemeldet bei ihm eintreten: er saß am Schreibtische, mit dem Rücken nach der Thüre gewandt, er mußte sich also nach mir umsehen und hatte nicht einen Augenlick Zeit, um sich zu fassen oder vorzubereiten. Mein Aussehen ist erschreckend gewesen, wie er mir später sagte, er sprang blitzschnell vom Stuhle auf und eilte mit den Worten auf mich zu: „Mein Gott, was ist Dir, Du bist bleich wie der Tod und zitterst wie Espenlaub!“

Obwohl ich mir unerschütterliche Ruhe zum Gesetze gemacht hatte, so war ich doch zu sehr Weib, um es halten zu können; ich brach in einen Strom von Thränen aus, indem ich rief: „Wollte Gott, ich hätte