Seite:Denkwürdigkeiten einer deutschen Erzieherin in Belgien, England, Spanien, Portugal, Polen und Deutschland.pdf/155

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diesen Tag nicht erlebt! Ich beschwöre Dich bei allem, was Dir heilig ist, sage mir die Wahrheit, lebt Deine Frau noch? Sei gewiß, daß ich die Wahrheit entdecken werde, daß also Lüge Dich nur völlig entwürdigen kann, und ich lege einen feierlichen Eid ab, daß ich dann nie Dein Weib werden will.“

v. T. blickte mit einer Art stummer Verzweiflung auf mich, seine Züge drückten einen bitteren Vorwurf aus und nahmen nur allmählig den Ausdruck des Schmerzes an, der durch alle Gradationen des Gefühls zum heftigsten Weinen überging. Der größte Schauspieler hätte in voller Ruhe kein größeres Meisterstück der Mimik liefern können. Dann stürzte er zu meinen Füßen und rief mit dem Tone emphatischer Freude: „Nein, schwaches Mädchen, ich bin frei, und keine Macht der Welt soll Dich mir entreißen!“

„Schwöre, daß Du frei bist!“ rief ich ekstatisch.

T. sprach einen feierlichen Eid aus; wir hatten eine großartige Scene aufgeführt, der Maler des Schwures der Horatier hätte uns zugejauchzt. Meine Ruhe konnte aber auch nur durch einen außerordentlichen Act wieder hergestellt werden.

Gegen Ende der Season traf die Familie des Marquis v. S. ein herber Verlust; der Tod raffte Lady Katharine, die dritte Tochter, plötzlich in der Fülle der Jugend und Schönheit hinweg. Nie ist mir der Tod mörderischer erschienen, als am Sarge dieses holden Mädchens von zweiundzwanzig Jahren, ich rief entsetzt aus: „Was ist unser Leben anders als eine Satyre auf die Zeit? Unsere Bestimmung ist nichts als ein Spott auf das Höchste und Letzte im Genie, wenn wir uns nicht an das ewige Gotteswort mit allen Seelenbanden klammern! Wehe denen, die da sagen, daß auch dieses nichts wisse von Unsterblichkeit und ewigem Leben! – War der Dichter nicht wahnsinnig, als er schrieb: diejenigen seien Thoren, nüchterne Philister, welche meinen, Jugend und Schönheit sei nur ein Traum? Und derselbe Poet schrieb auch: das Antlitz des Todes sei nicht furchtbar! – Ich konnte mich nicht fassen, ich eilte von diesem schönen Opfer des grimmen Vertilgers alles Lebendigen hinweg und fand nach langem Schluchzen und Weinen meine Haltung erst wieder, indem ich ein Gedicht niederschrieb.

Kurz nach diesem traurigen Ereigniß begab sich die Familie nach T… W…, einem reizenden Badeorte in Kent, wohin ich sie begleitete. Ich hatte indessen die Befriedigung, meine Zöglinge nicht nur